25. Oktober 2017

Heimat zum Mitnehmen

Band 2 erzählt Familiengeschichten unserer jüdischen Landsleute.

Eine Heimat zum Mitnehmen war und ist das Mostviertel für die Überlebenden der Shoah in vielen Ländern der Welt. Unsere jüdischen Landsleute erzählen in ihren Familiengeschichten über Verlorene und Gerettete. Die meisten dieser Familien waren hier in die jüdische Gemeinde Ybbs/Amstetten eingebunden, die das gesamte Most- und das südliche Waldviertel umfasste. Sie waren ebenso in die umgebende Mehrheitsgesellschaft integriert. Sie sorgten für die bestmögliche Ausbildung ihrer Kinder und waren unternehmerisch tätig. In den Fluchtländern versuchten sie, sich in die Zukunftsideen ihrer neuen Heimat einzuwurzeln.

„Jüdische Familien und ihr tragbares Vaterland.”

Elisabeth Reiss aus Kilb beschrieb das Wurzelschlagen in der neuen Heimat so: „Es geht von nun an für den Fremden wie für jeden Menschen darum, sich entsprechend dem reellen Leben einzuwurzeln, und einzig der volle Besitz seiner Persönlichkeit kann eine echte Integration in einer sich weiterbewegenden Welt garantieren.“

 

Ob und wie Sie, verehrte LeserInnen, erstmals von der Shoah in unserer Region erfahren haben, hat damit zu tun, ob Ihre Herkunftsfamilie aus einer bestimmten politischen bzw. religiösen Tradition kommt. Wenn parteipolitische Konflikte das Geschichtsbild Ihrer Familie entscheidend bestimmten, blieb für die jüdischen MitbürgerInnen und ihr Schicksal kaum noch Platz in der Erinnerung. Wenn die religiöse Familientradition nicht von allen antijüdischen Vorurteilen frei war, hatte auch das Schicksal der verfolgten und ermordeten jüdischen MitbürgerInnen wenig Raum. Das gilt für politische, religiöse und zivile Institutionen ebenso wie für das öffentliche Gedächtnis politisch und religiös Ungebundener. Dass alles so kam, wie es ohnehin kommen musste, könnten Sie, liebe LeserInnen nur sagen, wenn Sie an unverrückbare geschichtliche oder religiöse Gesetze glauben, nach denen alle Ereignisse ablaufen müssten. Daraus könnten sie folgern, dass es gar nichts hätte nützen können, wenn mehr „Gerechte“ zum Widerstand bereit gewesen wären. Wer an zwingende Gesetze dieser Art glaubt, hat kein Motiv, Verbrechen und Verbrechern Widerstand zu leisten, und braucht auch keine Entschuldigung wegen unterlassener Hilfe.

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